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Gefördert und unterstützt durch das Bayerische Staatsministerium der Justiz hat das renommierte Institut für Zeitgeschichte München-Berlin (IfZ) den Umgang insbesondere des bayerischen Justizministeriums mit seiner NS-Vergangenheit nach 1945 untersucht. Das Ergebnis der 2018 durch den ehemaligen Justizminister Winfried Bausback initiierten Studie der Autorin Dr. Ana Lena Werner ist unter dem Titel „Landesjustiz und NS-Vergangenheit – Justizbilder und Verwaltungspraxis im bayerischen Justizministerium in der Nachkriegszeit“ im Wissenschaftsverlag De Gruyter erschienen. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich und IfZ-Direktor Prof. Dr. Andreas Wirsching luden heute (31. März) zur Buchpräsentation in den Münchner Justizpalast. Eisenreich: „Deutschland und die Welt erleben nach dem 7. Oktober 2023 die schlimmste Welle von Antisemitismus seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Zugleich gewinnen in vielen Demokratien autoritäre und extreme Kräfte zunehmend Einfluss. Die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus ist in diesen Tagen bedeutsamer denn je. Mir ist es ein persönliches Anliegen, das historische Bewusstsein für das NS-Unrecht in allen Bereichen zu schärfen. Der NS-Unrechtsstaat war auch deshalb möglich, weil sich nicht wenige Juristen, die eigentlich Recht und Gesetz verpflichtet waren, in den Dienst des Regimes gestellt hatten. Viele waren über das Ende des Dritten Reichs hinaus in der Justizverwaltung tätig.“
Die Ergebnisse und Erkenntnisse ihrer Untersuchung stellte die Autorin Dr. Ana Lena Werner gemeinsam mit Dr. Jan Ruhkopf, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus, vor.
Für die Studie analysierte die Autorin Dr. Ana Lena Werner in ihrer Doktorarbeit insbesondere die Personalakten von 69 Juristen, die zwischen 1945 und 1970 u. a. als Minister, Amtschef oder Abteilungs- bzw. Referatsleiter im bayerischen Justizministerium tätig waren. In Teilbereichen wird auch der Tätigkeitsbereich von Richtern und Staatsanwälten einbezogen.
Das Fazit der Arbeit: Die vergangenheitspolitische Fehlleistung der Justizverwaltung liege nicht in individuellen Begünstigungen, Netzwerken oder moralischer Gleichgültigkeit, sondern in der Fortsetzung der Verwaltungspraxis. Direktor Prof. Dr. Wirsching: „Die neuere Behördenforschung hat gezeigt, wie wenig Gewicht die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit für das Selbstverständnis der damaligen demokratischen Ministerialbeamten hatte – nicht nur in München, sondern auch in Bonn. Es war ein langer Prozess, bis die schmerzhafte Auseinandersetzung mit individueller und institutioneller Mitverantwortung für die NS-Staatsverbrechen Teil der demokratischen Kultur wurde.“
Die Ergebnisse der Studie „Landesjustiz und NS-Vergangenheit – Justizbilder und Verwaltungspraxis im bayerischen Justizministerium in der Nachkriegszeit“ im Einzelnen:
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Übernahme der NS-Verwaltungspraxis: Die Autorin sieht eine „bemerkenswerte Stabilität“ der „bürokratischen Biografie“. Die Personalverwaltung sei über drei politische Systeme hinweg (Weimarer Republik, NS-Zeit, Bundesrepublik) grundsätzlich dieselbe geblieben. NS-Verwaltungsdokumente seien weiterverwendet worden. Eine Aktenbereinigung habe nicht stattgefunden. Beispielsweise seien politische Fragebögen und Fragebögen zur Abstammung zunächst nicht aus Personalakten entfernt und teils bis in die 1950er Jahre in den Personalakten gesammelt worden. Beholfen habe man sich mit Durchstreichen oder Überschreiben von offensichtlichen NS-Symbolen. Die NS-Vergangenheit der bayerischen Juristen sei damit nicht verschwiegen, aber routinemäßig verwaltet worden, was dazu geführt habe, dass die Juristen sich mit ihrer NS-Vergangenheit nicht tiefergehend auseinandersetzen mussten.
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Justizbilder: Der „Wiederaufbau“ und die „Unabhängigkeit der Justiz“ sind für die Autorin die wirkmächtigsten Bilder der bayerischen Nachkriegsjustiz. Die bayerische Justiz habe das Bild einer nur kurz gestörten Kontinuität zum Justizministerium der Weimarer Republik gezeichnet und NS-Bezüge ignoriert. Das Bild der unabhängigen Justiz habe sich als besonders hilfreiche und anpassbare „Verteidigungsressource“ gegenüber kritischen Bemerkungen zur Rolle der Justiz erwiesen.
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Drei Phasen der Entnazifizierung und Wandel des Verständnisses der NS-Belastung:
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In der Aufbauphase der bayerischen Justiz habe eine Nulltoleranz-Politik gegenüber NSDAP-Mitgliedern und aktiv für das NS-Regime handelnden Kandidaten geherrscht, wenngleich nicht alle der damals eingestellten Juristen nach heutigem Verständnis als gänzlich unbelastet gelten.
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Diese sei bald wegen Personalmangels nicht mehr aufrechterhalten worden. Ab Ende der 1940er Jahre habe es grundsätzlich genügt, als NSDAP-Mitglied eine demokratische Gesinnung durch einen Vorgesetzten attestiert zu bekommen.
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Die sogenannte „Blutrichter-Kampagne“, die ab 1957 von der DDR ausging und diejenigen in den Blick nahm, die an Sondergerichten oder am Volksgerichtshof tätig waren, läutete die dritte Phase ein. Nunmehr sei es darum gegangen, „nichts getan zu haben, das öffentlich skandalisierbar war“. Nach diesem Maßstab wurde elf bayerischen Juristen, weil sie an „exzessiven Todesurteilen“ beteiligt gewesen waren, der vorzeitige Ruhestand nahegelegt, die letztlich auch alle auf Druck der Justizverwaltung den vorzeitigen Ruhestand beantragten.
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Eisenreich: „Die Studie zeigt in vielen Facetten den schwierigen Umgang der bayerischen Justizverwaltung mit der NS-Zeit. Alle Juristen müssen aus dem dunkelsten Kapitel unserer Vergangenheit lernen und dazu beitragen, dass sich dieses niemals wiederholen kann. Ich danke dem Institut für Zeitgeschichte und der Autorin Dr. Ana Lena Werner für diesen wertvollen Beitrag zur Geschichte der bayerischen Justiz.“
Hintergrund:
Maßnahmen des Bayerischen Staatsministers der Justiz Georg Eisenreich zur Schärfung des historischen Bewusstseins für das nationalsozialistische Unrecht:
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Neugestaltung der Weiße-Rose-Ausstellung im Münchner Justizpalast. 2019 hat Justizminister Eisenreich entschieden, diese neu zu konzeptionieren. Die Dauerausstellung „Willkür im Namen des Deutschen Volkes„, die bereits mehr als 4.000 Menschen besucht haben, führt die Zerstörung des Rechtsstaats durch die Nationalsozialisten plastisch vor Augen. Deformierte Informationstafeln, in der Mitte des historischen Gerichtssaals eine beeindruckende Installation, welche die Zertrümmerung des Rechts symbolisiert. Eisenreich: „Staat und Gesellschaft müssen sich konsequent gegen Hass, Ausgrenzung und antidemokratisches Denken wehren. Daran erinnern uns die Schicksale der Widerstandskämpfer der Weißen Rose. Die neue Dauerausstellung zeigt uns wichtige Lehren für die Gegenwart auf und erklärt, wie die NS-Diktatur den Rechtsstaat mit perfider Präzision ausgehöhlt und zu einem Instrument zur Ausschaltung politischer Gegner gemacht hat. Ein weiterer Abschnitt befasst sich mit dem Wiederaufbau von Rechtsstaat und Demokratie und dem Umgang mit dem NS-Justizunrecht nach 1945.“
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Juristenausbildung: In der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Juristen (JAPO) wurde ausdrücklich klargestellt, dass das rechtswissenschaftliche Studium und die Erste Juristische Staatsprüfung auch die ethischen Grundlagen des Rechts berücksichtigen. Für Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare werden in Zusammenarbeit mit der Internationalen Akademie Nürnberger Prinzipien, dem Memorium Nürnberger Prozesse und dem Oberlandesgericht Nürnberg Fortbildungsveranstaltungen zum Thema „Juristen im Nationalsozialismus“ angeboten. Eisenreich: „Juristinnen und Juristen müssen aus den dunklen Kapiteln unserer Vergangenheit lernen und sich mit den gravierenden Folgen eines von rechtsstaatlichen Maßstäben losgelösten juristischen Handelns auseinandersetzen.“
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Aufarbeitung: Das renommierte Institut für Zeitgeschichte hat zudem im Auftrag von Justizminister Eisenreich die NS-Vergangenheit der Juristen und Namensgeber juristischer Standardwerke Otto Palandt und Heinrich Schönfelder untersucht und klare Belege für eine nationalsozialistische Gesinnung gefunden. Die Studie wurde im Juni 2023 vorgestellt. Eisenreich: „Namensgeber für Gesetzessammlungen und Kommentare müssen integre Persönlichkeiten sein. Palandt und Schönfelder waren Nationalsozialisten und haben die Pervertierung des Rechtsstaats in der NS-Zeit unterstützt und vorangetrieben. Deshalb war die Umbenennung der beiden juristischen Standardwerke richtig und notwendig.“
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Gedenk- und Informationstafeln an der Justizvollzugsanstalt München wurden im Juli 2020 auf Anregung der Stadt München aufgestellt. Eisenreich: „In Stadelheim wurden massenhaft Urteile und Strafen vollstreckt, die das Recht mit Füßen traten und unermessliches Leid über die Opfer und ihre Familien brachten.“
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Prävention im Bereich Hass und Hetze unter Schülern ist Gegenstand der gemeinsamen sehr erfolgreichen und preisgekrönten Kampagne der Staatsministerien der Justiz und für Unterricht und Kultus „Mach dein Handy nicht zur Waffe!“ (https://www.machdeinhandynichtzurwaffe.de/). Zentraler Baustein der Kampagne ist ein Video des TikTok-Influencers Falco Punch. Es erklärt mit innovativer Schnitttechnik und jugendgerechter Sprache, warum auch antisemitische, rassistische und sonst menschenverachtende und beleidigende Hass und Hetze auf Schülerhandys zu absolut inakzeptablen Inhalten gehören. Eisenreich: „Schülerinnen und Schüler ist oft nicht bewusst, wie schnell sie sich strafbar machen können. Die Masse handelt aus Spaß, Neugier oder Unbedachtheit. Deshalb haben wir zur Aufklärung die sehr erfolgreiche und preisgekrönte Präventionskampagne entwickelt.“
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Faces for the names: Lichtdenkmale für die Opfer des NS-Terrors wurden zunächst im Februar 2021 auf die Anstaltsmauer von Stadelheim projiziert. Ein Projekt des Vereins J.E.W.S. „Jews Engaged With Society e.V.“ mit dem Vorstandsvorsitzenden Terry Swartzberg. Im März 2023 wurde diese auch auf der Fassade des Münchner Justizpalast gezeigt. Münchner Schulen haben gemeinsam mit dem Verein J.E.W.S die Biografien von Widerstandskämpfern in dem Projekt „Faces for the names“ aufgearbeitet und im Juli 2023 im Justizpalasts präsentiert. Am 24. April 2024 gab es zudem ein Lichtdenkmal am Justizpalast für 18 Frauen im Widerstand.
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An das Schicksal jüdischer Juristinnen und Juristen der Bayerischen Justiz erinnerte eine Diskussionsrunde im März 2022 im Münchner Justizpalast. Eisenreich: „Menschen, die ihr Leben in den Dienst des Rechts gestellt hatten, wurden selbst jeglicher Rechte beraubt, verfolgt oder sogar ermordet. Nur weil sie jüdischen Glaubens waren. Die menschenverachtende Pervertierung des Rechtsstaats durch das NS-Regime mahnt uns alle, dass wir Menschenrechte, Frieden und Freiheit Tag für Tag verteidigen müssen.“
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Gedenken an jüdische Justizbeamte: In allen drei Oberlandesgerichtsbezirken sollen Ausbildungsräume nach jüdischen Justizbediensteten umbenannt werden, die im Nationalsozialismus entrechtet, verfolgt oder sogar ermordet wurden. Zuletzt wurde im Februar 2025 eine Gedenktafel für den im Konzentrationslager Auschwitz ermordeten Münchner Oberamtsrichter Dr. Joseph Schäler im Münchner Ausbildungszentrum CampusJustiz installiert.
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Im Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts schlug nach der düsteren NS-Zeit mit dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess die Geburtsstunde des modernen Völkerrechts. Heute finden dort keine Gerichtsverhandlungen mehr statt. Der Saal steht inzwischen als Teil des Museumsrundgangs dauerhaft der Öffentlichkeit als Ort der Begegnung und der Erinnerung zur Verfügung. Eisenreich: „In Saal 600 des Nürnberger Justizpalasts schlug die Geburtsstunde des modernen Völkerstrafrechts. Dort fand die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen im ‚Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess‘ statt.“ Erstmals in der Geschichte mussten sich führende Vertreter eines Staates für ihre Verbrechen gegen den Frieden und die Menschlichkeit vor einem internationalen Gericht verantworten. Die in Nürnberg angewandten völkerstrafrechtlichen Grundsätze wurden durch die Vereinten Nationen in den sog. „Nürnberger Prinzipien“ bekräftigt. Eisenreich: „Saal 600 mahnt uns alle, dass Frieden, Freiheit, Demokratie und Menschenrechte nicht selbstverständlich sind, sondern Tag für Tag verteidigt werden müssen. Angesichts der Entwicklungen in aller Welt haben die dort geschaffenen völkerrechtlichen Prinzipien nichts von ihrer Bedeutung und Aktualität eingebüßt.“
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Justizminister Eisenreich hat am 13. Mai 2024 die Ausstellung „Protokoll eines Justizversagens – 100 Jahre Hitler-Prozess“ eröffnet. Im Zentrum stand eine Installation falsch zusammengebauter Stühle, die von der Lichtkuppel des Justizpalastes hängen. Adolf Hitler war am 8. November 1923 im Bürgerbräukeller (heute: Gasteig) auf einen Stuhl gestiegen, hatte einen Pistolenschuss in die Decke gefeuert und die bayerische Regierung sowie die Reichsregierung für abgesetzt erklärt. Der Putsch scheiterte. Im folgenden Hochverratsprozess vor dem Bayerischen Volksgericht in München kam Hitler mit einem milden Urteil (fünf Jahre Festungshaft, von denen er nur neun Monate in Landsberg absaß) davon und schrieb in der Haft den ersten Teil von „Mein Kampf“. Die Justiz traf damals vor 100 Jahren ein historisches Fehlurteil. Eisenreich: „Die Justiz hat damals eine unrühmliche Rolle gespielt und Hitler nicht gestoppt, obwohl es ihre Pflicht gewesen wäre. Sie hat es zugelassen, dass Hitler den Gerichtssaal als Bühne für seine menschenverachtende Propaganda nutzen und davon sogar noch profitieren konnte. Die Lehre für heute: Wehret den Anfängen. Jede Form von Extremismus muss von Anfang an klar und entschlossen bekämpft werden. Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte müssen Tag für Tag verteidigt werden. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Aufstieg von Adolf Hitler gerade in diesen Tagen besonders bedeutsam. Ich freue mich sehr, dass wir mit Christian Springer und seiner Initiative ‚Schulterschluss‘ dieses Projekt präsentieren konnten.“
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Justizminister Eisenreich hat am 12. September 2024 die Ausstellung „Auf derselben Seite – Die Letzten der ‚Gerechten unter den Völkern'“ im Justizpalast München eröffnet. Es sind stille Helden, die Haltung in der NS-Zeit gezeigt und gelebt haben. Die Künstler, die Münchnerin Lydia Bergida und der Berliner Marco Limberg, porträtieren in ihren fotografischen Erzählungen einige der letzten lebenden „Gerechten unter den Völkern“. Der Ehrentitel wird von der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem an nicht-jüdische Menschen verliehen, die während der NS-Zeit Jüdinnen und Juden gerettet haben. Eisenreich: „Es war mir eine besondere Ehre, einen der letzten noch Lebenden der ‚Gerechten unter den Völkern‘, Andrzej Sitkowski, persönlich bei der Ausstellungseröffnung begrüßen zu können. Sie haben ihr eigenes Leben riskiert, um andere Menschenleben zu retten. Mit ihrer Menschlichkeit und ihrer großen Zivilcourage sind sie für uns alle ein Vorbild.“
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